Mitteldeutsche Kunststoffverarbeiter beschreiten neue Wege beim Fachkräftemanagement

Am 5. November 2015 fand bei der Firma GRAFE Advanced Polymers GmbH in Blankenhain (Thüringen) das POLYKUM Branchengespräch „Erfolgreiches Fachkräftemanagement in der Kunststoffindustrie“ statt …

POLYKUM e. V.

Branchengespräch "Erfolgreiches Fachkräftemanagement in der Kunststoffindustrie"

Dem Problem des zunehmenden Fachkräftemangels widmete sich das POLYKUM Branchengespräch „Erfolgreiches Fachkräftemanagement in der Kunststoffindustrie“, das am 05. November 2015 bei dem POLYKUM-Mitglied GRAFE Advanced Polymers GmbH in Blankenhain stattfand. Bei dem Branchengespräch wurden Beispiele eines erfolgreichen Fachkräftemanagements in der kunststoffverarbeitenden Industrie präsentiert, dringend zu lösende Probleme aufgezeigt, Lösungsansätze vorgestellt und erste gemeinsame Schritte zur Problemlösung initiiert.

Herr Dr. Michael Busch vom POLYKUM e. V. begrüßte die Teilnehmer und gab eine kurze Einführung in das Thema. Der Fachkräftemangel tritt immer offensichtlicher zutage und wird zu einem das Wachstum begrenzenden Faktor. Während in der öffentlichen und politischen Diskussion „Fachkräfte“ in erster Linie mit akademischen Abschlüssen verbunden werden, stehen viele Unternehmen vor allem vor dem Problem, qualifizierte Facharbeiter mit erfolgreicher betrieblicher Ausbildung zu finden. Der Bedarf der Unternehmen an qualifizierten Facharbeitern in naturwissenschaftlich und ingenieurtechnisch geprägten Berufen nimmt zu, zugleich ist jedoch der Zuspruch der Schüler zu diesen Berufsbildern rückläufig. Es gibt zahlreiche Ausbildungsplätze, die trotz größerer Anstrengungen nicht oder gerade noch mit geeigneten Auszubildenden besetzt werden können.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Ein entscheidender Punkt ist, dass die Schüler häufig zu wenig oder sogar falsche Vorstellungen über die interessanten Arbeitsinhalte dieser Berufe und die sich bietenden Chancen haben. Besonders problematisch ist die Situation bei Berufsbildern wie dem Mechatroniker oder dem Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnologie, während sich zum Beispiel für das Berufsbild des Chemielaboranten nach wie vor ausreichend Bewerber finden. Von den Unternehmen für Schüler durchgeführte „Schnuppertage“ oder Unternehmenspräsentationen auf Job- und Ausbildungsmessen allein können daran nur bedingt etwas ändern, zumal diese Aktivitäten in der Regel in den Freizeitbereich der Schüler fallen und damit naturgemäß nicht den Stellenwert haben wie ein Schulpflichtfach.

Hier setzt das Modell der Junior-Ingenieur-Akademie (JIA) an, das Frau Prof. Dr. Elke Hartmann in ihrem Vortrag ausführlich vorstellte. Frau Prof. Hartmann ist emeritierte Hochschulprofessorin und hat in ihrer aktiven Laufbahn Techniklehrer ausgebildet. Die JIA ist ein im Unterrichtsplan verankertes Bildungsangebot an die Schüler, das auf die Gegebenheiten der regionalen Unternehmen zugeschnitten ist und auf einer engen Kooperation von Schule (Technikunterricht), Wirtschaft (praktische Tage) und Wissenschaft (Vorlesungen) beruht. Es bringt die Jugendlichen frühzeitig mit den komplexen Berufsinhalten in Kontakt und ermöglicht ihnen einen facettenreichen und praxisnahen Einblick in die Ausbildung und die Arbeitswelt dieser Berufe.

Das Modell der JIA zielt auf eine spätere akademische Karriere, daher wurden Gymnasien in die laufenden Vorhaben eingebunden. Geeignet modifiziert kann das Modell aber auch für die Vorbereitung auf eine spätere Facharbeiterlaufbahn in Haupt- und Realschulen verwendet werden. Aber auch die Schüler an den Gymnasien sind eine wichtige Zielgruppe für eine spätere Facharbeiterlaufbahn, denn immerhin ergreifen derzeit nur knapp 60% der Abiturienten ein Studium. Es gilt, neben den auf den ersten Blick leistungsschwächeren Jugendlichen der Realschulen auch diese Abiturienten zu gewinnen und ihnen die Chancen einer beruflichen Tätigkeit in der Kunststoffbranche zu vermitteln.

Die Junior-Akademien sind darauf angewiesen, dass Schulen sich auf dieses Modell einlassen. Aber auch die Unternehmen allein haben diverse Möglichkeiten, auf die Fachkräftesituation positiv einzuwirken. In ihrem Vortrag zeigte Frau Dr. Colette Friedrich, Personalleiterin bei der GRAFE Advanced Polymers GmbH, welche Konsequenzen sich aus dem Fachkräftemangel für mittelständische Unternehmen ergeben können und wie sie dem Problem erfolgreich begegnen können. Dem geänderten Anspruchsdenken der als Fachkräfte zu gewinnenden „Generationen Y und Z“ muss mit attraktiven Angeboten und einer angepassten Strategie der Personalgewinnung, die bisher auf einem reinen Auswahlverfahren aus einer Vielzahl von Bewerbern beruhte, begegnet werden. Um die Sichtbarkeit der Unternehmen für Bewerber zu verbessern eignen sich der Aufbau einer Arbeitgebermarke sowie die Verwendung von Zertifizierungen bzw. Siegeln wie „GreatPlace to Work“, „TopJob“ oder andere. Durch unternehmensinterne Veränderungen können Fachkräfte wirkungsvoll angezogen und gebunden werden. Hierzu gehören ein sinnvolles Bewerbermanagement (zielgruppenorientierte Stellenausschreibungen, schnelle Rückmeldungen auf Bewerbungen, Nutzung innovativer Wege der Rekrutierung wie Mitarbeiterempfehlungen etc.), die Reduzierung von Befristungen, die Verbesserung der Arbeitskonditionen, ein lebensphasenorientiertes Personalmanagement und die Anpassung von Gehältern. Das Potenzial abgelehnter Bewerber muss besser genutzt werden, was zum Beispiel durch ein Bewerbernetzwerk kooperierender Unternehmen erfolgen kann. Frau Dr. Friedrich wies auch darauf hin, dass das Potenzial am Arbeitsmarkt besser genutzt werden muss und nannte als Beispiele die Frauenerwerbstätigkeit oder das Erwerbspotenzial ohne Schulabschluss.

Kunststoffverarbeiter sind in der Regel kleine und mittelständig geprägte Unternehmen, die den Aufwand einer Erstausbildung oft nur schwer oder gar nicht bewältigen können. Häufig fehlen Ausbilder und Ausbildungsstrukturen, geeignete Räumlichkeiten und die finanziellen Mittel. Hier setzt das Konzept eines auf die Bedürfnisse der Kunststoffverarbeiter zugeschnittenen Verbundausbilders mit einer modernen Infrastruktur an, das am ÜAZ in Bautzen realisiert wurde. Herr Stefan Hörenz ist Leiter des überbetrieblichen Ausbildungszentrums ÜAZ Bautzen, einer Bildungseinrichtung zur Sicherung des Fachkräftebedarfs der Kunststoffindustrie. In dem 2011 feierlich eingeweihten Ausbildungszentrum, das über ein Technikum mit einem modernen Maschinenpark mit allen branchenüblichen Technologien und einem Mess- und Prüflabor verfügt, werden Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik oder Maschinen- und Anlagenführer Kunststofftechnik im Blockunterricht aus- und Mitarbeiter von Unternehmen weitergebildet. Für 3,6 Mio. €, davon 90% Förderung durch den Freistaat Sachsen, sowie 0,6 Mio. € Sponsorleistungen der Unternehmen, wurden moderne Werkstätten und Maschinen für Spritzgießen Extrusion, Pressen und Tiefziehen, ein Prüflabor, ein Schweißkabinett, Unterrichts- und Seminarräume für 100 Personen sowie ein Internat für etwa 60 Personen inklusive Freizeitbereichen geschaffen. Das Gebäude wurde in einem ökologischen Passivhausstandard errichtet. Die aktuelle Auslastung ist nahezu vollständig.

Eine nachhaltige Verbesserung der Fachkräftesituation erfordert konzertierte Aktionen und Maßnahmen, die bereits in der Schule ansetzen und sich über die berufliche Ausbildung und Qualifizierung bis hin zu den vielfältigen die Möglichkeiten einer akademischen Laufbahn erstrecken müssen. Der akademische Anschluss ist durch eine Zusammenarbeit mit Fachhochschulen, die Studienangebote zu Kunststofftechnik bzw. Wirtschaftsingenieurwesen anbieten, die sowohl als Direktstudium als auch berufsbegleitend absolviert werden können, und der Technischen Universität Chemnitz gegeben. Plattform für die kunststofftechnische Berufsausbildung, das Studium des Wirtschaftsingenieurs mit Fachrichtung Kunststofftechnik und der berufsbegleitenden Weiterbildung/Qualifizierung in Sachsen ist der Verein POLYSAX e. V., eine Initiative der Wirtschaft und wirtschaftsnaher Einrichtungen.

Herr Prof. Dr. Oliver Mauroner ist Juniorprofessor für Innovations- und Kreativmanagement an der Bauhaus-Universität Weimar. In seinem Vortrag stellt er die Gründerwerkstatt „neudeli“ in Weimar als eine studentische Initiative und Teil der Gründerszene in Thüringen vor. In neudeli finden Studenten eine Experimentierfläche, wo sie ihren Ideen freien Lauf geben können, unterstützt durch Expertise und ein kleines Budget, das über einen Ideenwettbewerb erschlossen werden kann. Prof. Mauroner verdeutlicht in seinem Beitrag die Bedeutung Kreativität und Diversität für unternehmerisches Denken und Handeln. Wer Ideen und Kreativität seiner Mitarbeiter fördert, so sein Credo, hat bessere Mitarbeiter, denn Kreativität motiviert, ein kreatives Arbeitsklima zieht gute Mitarbeiter an und kreative Potenziale werden genutzt. Herr Prof. Mauroner empfiehlt, hierfür Freiräume zu schaffen und geeignete Strukturen zu etablieren, Ideen zu fördern und Kooperation anzuregen - wohl wissend, dass dies im unternehmerischen Tagesgeschäft schwierig zu realisieren ist.

Der Einstieg in ein Unternehmen erfolgt häufig über ein Praktikum. Die Einführung des Mindestlohns durch die Bundesregierung wirkt sich auch auf die Gestaltung der Praktikumsverträge aus. Herr Dr. Hermann Gloistein von der Dr. Gloistein & Partner Partnerschaftsgesellschaft weist auf juristische Fallstricke und Konsequenzen hin, die mit der Einführung  des Mindestlohns entstanden sind. Herr Dr. Gloistein ist ein renommierter Arbeitsrechtler, der vom Nachrichtenmagazin Focus in seiner Ausgabe vom September 2013 als „bester Anwalt“ auf dem Fachgebiet Arbeitsrecht ausgezeichnet wurde. In seinem Beitrag nennt Dr. Gloistein Pflichtpraktika, freiwillige Praktika und Einstiegsqualifizierungen als unter definierten Bedingungen vom Mindestlohngesetz ausgeschlossene Praktika und erläutert ausführlich, unter welchen Umständen hier dennoch die Mindestlohnpflicht einsetzt und welche Konsequenzen im Falle der Nichtbeachtung drohen.

Im Ergebnis der Veranstaltung sollen erste Schritte wie die Bildung eines Bewerbernetzwerks kooperierender Unternehmen sowie die an das Modell der JIA angelehnte Initiierung von „Junior-Kunststoff-Akademien“ zur gezielten Heranführung der Schüler von Haupt- und Realschulen an kunststofftechnische Berufsbilder unternommen werden.

Die Vortragsmanuskripte können auf der POLYKUM-Website www.polykum.de im Veranstaltungsarchiv unter dem Branchengespräch heruntergeladen werden.

Abgerundet wurde das Branchengespräch durch ein kulturelles Highlight: Im Anschluss an die Vorträge eröffnete Herr Matthias Grafe die Ausstellung des bekannten Graffiti-Künstlers Max Kosta aus Eisenach. Herr Kosta ist als Straßenkünstler international aktiv, bekannt wurde er vor allem durch seine ansprechenden Fassadengestaltungen, die von abstrakt bis fotorealistisch reichen. Die Zusammenarbeit von Herrn Kosta und der Firma GRAFE dreht sich um das Thema „Farbe“. Herr Grafe gab eine kurze Einführung in das Thema. Das Setzen auf die „richtige“ Farbe entscheidet häufig über den Erfolg eines Produktes. Farbtrends werden von wenigen Mode-Trendsettern in Paris gemacht, die trendigen Farben schlagen abgeschwächt auch auf die Automobilbranche und andere Industrien durch. Mit der Gründung des GRAFE Designcenter versucht das Unternehmen GRAFE, beim Trendsetting aktiv mitzumischen. Als ein wichtiges Instrument sieht Herr Grafe dafür den in limitierter Auflage erscheinenden GRAFE-Kalender an, der die aktuellen Farbtrends über ausdrucksstarke Bilder geschickt und einprägsam vermittelt. Allen Bildern im aktuellen Kalender liegen von Herrn Kosta gestaltete Fassadenbilder zugrunde, die anschließend abfotografiert wurden.

Ansprechpartner:

POLYKUM e. V.
Dr. Michael Busch
Tel.: 03461 2598 400
E-Mail: michael.busch@polykum.de