Eine Textilfaser „hört“, wenn Bauteile zu brechen beginnen

Wann einzelne Maschinenkomponenten brechen, ist schwer vorhersagbar. Routinemäßige Überprüfungen und vorsorglicher Teiletausch sind in der Industrie deshalb bislang (notgedrungen) die Mittel der Wahl, um Havarien zu vermeiden. Doch die Kosten dieser statistikbasierten „Gießkannenmethoden“ sind enorm, die Fehlerquoten alles andere als vernachlässigbar. Eine preisgekrönte Entwicklung des Thüringischen Instituts für Textil- und Kunststoff-Forschung e.V. (TITK) dürfte in vielen Bereichen Schluss machen mit dieser Ressourcen-Verschwendung: Neuartige textile Fäden mit sensorischen Eigenschaften können das Körperschallspektrum von Maschinenkomponenten permanent messen und so rechtzeitig warnen, wenn selbst winzigste Brüche oder Risse entstehen. Mit Hilfe der schlauen Fasern sparen Entwicklungspartner des Rudolstädter Instituts schon heute Geld in Größenordnungen.

Wasserfallanalyse: zeitliche Veränderung des Körperschallspektrums

Die Wasserfallanalyse zeigt die zeitliche Veränderung des Körperschallspektrums.

1. Warum textile Sensoren?

Technische Fasern erobern immer neue Anwendungsfelder. Die am TITK entwickelte mechanisch-elektrische Energiewandlung mit Hilfe eines Textilfadens ist ein anschauliches Beispiel dafür. Mit dem Funktionsmaterial wird es beispielsweise möglich, Körperschall bis in große Frequenzbereiche hinein zu messen und als elektrisches Signal (Spannungsschnittstelle) an eine weiterverarbeitende Regelung zu übermitteln. Im Gegensatz zu marktüblichen Sensoren wird die Körperschallwelle nicht punktförmig, sondern integral gemessen. Dadurch ist es möglich, den Sensor über große Flächen hinweg einzusetzen. Eine externe Stromversorgung, etwa durch einen Akku, ist nicht erforderlich, was außerordentlich breit gefächerte Einsatzoptionen zulässt.

Textile Piezosensoren bieten eine Kombination aus mechanischen und funktionalen Eigenschaften, die sich mit anderen Sensoren nicht darstellen lassen. Mechanisch sind sie einerseits sehr flexibel und eignen sich durch die freie Formbarkeit auch zum Einbau in bestehende Systeme, andererseits ermöglicht deren Endlosfertigung ihre wirtschaftliche Herstellung. Funktional ist mit der Möglichkeit, sehr lange Sensoren herzustellen, eine integrale Messung von Schwingungen über lange Wege hinweg möglich, außerdem können die Sensoren sehr breitbandig Signale messen (unterer Hz- bis MHz-Bereich).

2. Aufbau: vier Schichten für höchste Funktionalität

Die am TITK entwickelten textilen Piezosensoren sind schichtweise aufgebaut, wie in Abbildung 1 gezeigt ist. Die innere Schicht (Innenleiter) ist das eigentliche Strukturelement des Funktionsmaterials und hat die Aufgabe, die Reißfestigkeit des Sensors von 8.9 cN/tex (nach DIN EN ISO 2062) zu gewährleisten [1]. Die zweite Funktion des Innenleiters ist es, den elektrischen Messstrom zu tragen, der in den Sensor hinein fließt.

Am TITK wird der Innenleiter typischerweise aus per se nicht leitfähigem Polyethylen (PE) als Matrixpolymer hergestellt, das mit leitfähigen Partikeln (typischerweise Polyblak) gefüllt wird. Durch die Einstellung bestimmter Parameter im Spinnprozess ist diese Werkstoffkombination nach dem Schmelzspinnen textil verstreckbar, um eine hinreichende Reißfestigkeit der Faser zu gewährleisten. Der elektrische Widerstand liegt im Bereich , was für die Anwendung als Sensor ausreichend ist (bei einer Kapazität von ). Der Innenleiter hat einen Durchmesser von etwa 620 µm. 

Die Funktionsschicht besteht aus Polyvinylidenfluorid (PVDF). Dieses piezoelektrische Polymer wird ca. 40 µm dick auf den Innenleiter aufgetragen. Infolge einer äußeren mechanischen Anregung des polarisierten PVDF kommt es zur Gitterverschiebung im Werkstoff und damit zur Verschiebung der Ladungsschwerpunkte. Daraufhin wird eine elektrische Spannung zwischen den Grenzschichten zum Innenleiter sowie zum Außenleiter erzeugt, solange die äußere mechanische Anregung, etwa beim Auftreffen einer Körperschallwelle, sich ändert. 

Der Außenleiter ist eine ca. 0.1 µm dicke Aluminiumschicht, die typischerweise aufgedampft wird und den Stromkreis vom Innenleiter über die Funktionsschicht zum Außenleiter zur elektrischen Signalableitung schließt, während als Schutzschicht meist ein Lacksystem eingesetzt wird, um eine elektrische Isolation des Sensors zu gewährleisten.

3. Konfektionierung der Sensoren für den Betrieb

Im nächsten Arbeitsschritt muss die Sensorfaser mit Anschlusskontakten versehen werden, um sowohl den Innenleiter als auch den Außenleiter elektrisch mit einer Auswerteelektronik zu verbinden. Dieser Aufbau ist in Abbildung 2 mit typischen Abmessungen gezeigt. Die elektrische Kontaktierung wird derzeit mit Silberleitlack realisiert.

Für eine wirtschaftliche Fertigung der Sensoren werden jedoch derzeit unterschiedliche Technologien erprobt, die sich in eine Endlosfertigung der Sensoren integrieren lassen. Dabei ist zunächst eine Abmantelung nötig, um etwa den Außen- sowie den Innenleiter freizulegen, damit diese anschließend jeweils mit mechanischen (Crimpen), chemischen (Kleben) oder thermischen (Löten, Schweißen) Verfahren mit metallischen Anschlussdrähten verbunden werden können.

4. Vorausschauende Instandhaltung – Zukunftsmusik im Maschinenbau

Im Maschinenbau können die textilen Piezosensoren eingesetzt werden, um den Körperschall von Maschinen an bestimmten, oftmals schwer zugänglichen Positionen zu messen. Im Frequenzspektrum des Körperschalls kommt es in Abhängigkeit vom Verschleißzustand sowie von (nicht unbedingt erkennbaren) Schädigungen zu Veränderungen, die etwa in Abbildung 3 gezeigt sind. Erhöhte Signalamplituden, das Hinzukommen von Resonanzfrequenzen sowie die Verschiebung vorhandener Resonanzfrequenzen sind Hinweise auf mikroskopische Veränderungen eines Werkstoffs.

Durch umfangreiche Messungen kann die Korrelation zwischen der Veränderung des Körperschallspektrums und bestimmten Schadensbildern bzw. dem Verschleiß des Werkstoffs hergestellt werden. Damit wiederum ist eine vorausschauende Instandhaltung dadurch möglich, dass ereignisgesteuert beispielsweise der Austausch des verschlissenen oder defekten Werkzeugs oder etwa die Regeneration eines Werkzeugs erfolgt. Das spart den Nutzern von Werkzeugmaschinen, die heutzutage meist in festen Zeitintervallen Wartungen durchführen, Geld in beträchtlicher Höhe, da die Laufzeiten ihrer Maschinen sich signifikant verlängern [4].

5. Best-Praxis-Beispiel aus der Industrie

Ein mittelständischer Entwicklungspartner bei dem hier vorgestellten Projekt betreibt in seinem Werk mehr als 30 Fünfachs-Fräsmaschinen. Trotz vorschriftsmäßiger Wartungen kam es pro Bearbeitungszentrum statistisch betrachtet alle vier Jahre zu einer ungeplanten Havarie. Die Wartezeiten auf Techniker für die notwendigen Reparaturen betrugen in manchen Fällen bis zu drei Wochen. Es kam also zu erheblichen Ausfällen und damit verbundenen Folgekosten. Mit den neuen faserförmigen Piezosensoren konnten diese Ausfälle nicht nur eliminiert, sondern obendrein die Wartungsintervalle der Maschinen von ursprünglich 8.000 Stunden auf nunmehr 14.000 bis 16.000 Stunden nahezu verdoppelt werden.

6. Weitere Anwendungsfelder

Für die Erkennung von Werkzeugverschleiß mit textilen Piezosensoren erhielt das TITK auf der Internationalen Erfindermesse iENA in Nürnberg 2016 drei Goldmedaillen von Preisgebern aus Europa und Asien. Im Jahr davor wurde die Detektion von Schäden in Rotorblättern aus Verbundwerkstoffen an gleicher Stelle mit zwei Mal Gold prämiert. Derzeit läuft ein ZIM-Projekt zur Nutzung der funktionellen Fasern in Kohlefaser-Kunststoff-Verbundmaterialien (CFK). Aber auch Anwendungen im Smart-Home-Bereich, etwa zum Sturz-Monitoring für ältere Menschen, werden gegenwärtig erprobt. Die Anwendungsmöglichkeiten sind überaus vielfältig und ihre Erschließung derzeit noch in den Anfängen.

7. Wie geht es weiter?

Nach der Herstellung zahlreicher Sensoren und deren prototypischen Integration in unterschiedliche Anwendungen steht die weitere Industrialisierung der Sensorfaserherstellung im Vordergrund der Aktivitäten am TITK. Damit soll die Fertigung wirtschaftlich noch attraktiver und die Fertigungsprozesse noch robuster werden, damit die Fäden in möglichst viele Anwendungen als Sensoren eingebunden werden können.

Dr.-Ing. Christian Döbel

Quellenangaben:

  • [1] TITK, Technische Produktinformation Faserförmige Piezosensoren/ Energiewandler, www.titk.de, Aufruf vom 17.2.2017
  • [2] Ritter, F., Diplomarbeit „Faserbasierte Sensierung verschiedener Prozess- und Funktionsparameter von Faserverbundbauteilen für Industrie 4.0“, 2016.
  • [3] Deckers, J., Dissertation: Entwicklung einer Low-Cost-Körperschallsensorik zur Überwachung des Verschleißverhaltens von wälz- und gleitgelagerten Kreiselpumpen kleiner Leistung, 2001.
  • [4] Döbel, C., Einsatz textiler Sensoren für die Lebensdauervorhersage von Maschinen, In: Tagungsband 28. VDI-Tagung Technische Zuverlässigkeit, 2017.