Merseburg, 27. Mai 2022 Nachhaltiges Wirtschaften wird oft mit Verzicht gleichgesetzt. Nach Überzeugung von Michael Braungart sollte die Ökonomie der Zukunft sich jedoch eher am Vorbild eines Kirschbaums orientieren, der das Gegenteil vorlebe: „Der Baum produziert verschwenderisch Blüten und Früchte“, gibt der Professor der Leuphana Universität Lüneburg zu bedenken, „aber er ist dabei gänzlich Teil des natürlichen Kreis-laufs und nützlich für alles Leben um ihn herum“. So liefere er Nahrung für Insekten und andere Tiere, Laub für Humus, Sauerstoff für die Atmosphäre und vieles mehr. „Wenn unsere Wirtschaft genauso funktionieren würde, wäre zukünftiges und umweltverträgliches Wirtschaften keine Frage von Verzicht“, provoziert der Verfahrenstechniker und Chemiker dazu, Denkmuster zu durchbrechen. Wie sich das Vorbild des Kirschbaumes in der Kunststoffbranche mit Leben erfüllen lässt, möchte der Ecodesigner und Miterfinder des Cradle to Cradle Konzepts den Teilnehmern des Kongresses „BIOPOLYMER – Processing & Moulding“ am 14. Juni in seinem Impulsvortrag an Beispielen aus der Praxis erläutern.
Drei Themenbereiche und Preisverleihung
Die internationale Tagung, 2018 von der gemeinnützigen Fördergemeinschaft für Polymerentwicklung und Kunststofftechnik POLYKUM im Mitteldeutschen Chemiedreieck ins Leben gerufen, findet in diesem Jahr bereits zum vierten Mal statt, zum zweiten Mal als Online-Event. Mit anwendernahen Vorträgen rund um biologisch basierte und biologisch abbaubare Kunststoffe zog die Veranstaltung 2021 mehr als 700 registrierte Teilnehmer aus 42 Ländern in ihren Bann. Die Teilnahme ist kostenfrei.
In drei Sessionen widmen sich am 14. Juni jeweils drei Referenten den Themenbereichen „Bioökonomie und Rohstoffe“, „Werkstoffe und Additive“ sowie „Anwendung, Recycling und Ökobilanzierung“. Im vierten Tagungsabschnitt werden die Preisträger des diesjährigen Wettbewerbs um die „BIOPOLYMER Innovation Awards“ ausgezeichnet. „Für die Preise haben sich dieses Mal Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus fünf Ländern beworben“, freut sich Juryvorsitzender und POLYKUM-Vorstand Peter Putsch, „darunter erstmals auch aus Lateinamerika“.
Von Indien bis Südamerika
Der südamerikanische Kontinent steht, nach Indien im vergangenen Jahr, bei der diesjährigen Tagung als Partnerregion im Blickpunkt. „Dank Unterstützung durch Germany Trade and Invest (GTAI), der Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing des Bundeswirtschaftsministeriums, haben wir hochinteressante Kontakte zu Verbänden, Unternehmen und Fachmedien in Lateinamerika geknüpft“, weckt POLYKUM-Vorstand Peter Putsch die Neugier auf diese besondere Facette des Kongresses.
So werden Arturo Madero und Esteban Guzman, Mitgründer des Verbandes der Bioplastproduzenten Mexikos, am 14. Juni über ihre Erfahrungen bei der Einführung von Biokunststoffen in ihrem Land berichten. Janosch Siepen und Edwin Schuh von der GTAI und ein Referent des kolumbianischen Branchenverbands Acoplasticos geben Einblicke in weitere besonders interessante Märkte Mittel- und Südamerikas.
Referenten kommen am 14. Juni aber auch aus Kanada und der Schweiz. Renommierte deutsche Forschungseinrichtungen wie die RWTH Aachen und die Fraunhofer-Gesellschaft sind ebenso vertreten wie Mittelständler und Start-ups. Tagungsteilnehmer haben bei jedem Vortrag die Möglichkeit, im Live-Chat Fragen zu stellen. Die meistgestellten werden von den Moderatoren direkt nach dem Vortrag an die Referenten weitergegeben und live beantwortet. Darüber hinaus können sich interessierte Besucher zum Abschluss des Kongresstages in der „Speaker’s Corner“ mit einigen Referenten ausführlich austauschen.
Nachhaltige Alternativen zum Erdöl
Zu ihnen gehört auch Martin Bussmann. Der Manager beim finnischstämmigen Unternehmen Neste erläutert in seinem Vortrag, wie der Weltmarktführer für erneuerbaren Diesel und erneuerbaren Flugtreibstoff auch im Kunststoffbereich seinen Kunden hilft, sich aus der Abhängigkeit vom Erdöl zu befreien und Produkte in nachhaltige Stoffkreisläufe zu integrieren.
Die insgesamt 16 Vorträge, die auf Englisch gehalten und simultan ins Spanische übersetzt werden, versprechen eine Fülle konkreter Umsetzungsvorschläge hin zu einer Kunststoffwirtschaft der Zukunft, wie sie Michael Braungart in seinem Eröffnungsvortrag entwirft. „Um aber rundum nützlich und ohne Abfälle zu wirtschaften wie der Kirschbaum“, prognostiziert der einstige Leiter des Bereiches Chemie bei Greenpeace, „müssen wir fast jedes Produkt – nicht nur im Kunststoffbereich – neu erfinden“.